Lieber OVV! Den Vorschlag für das heutige Thema erhielt ich in dankenswerter Weise von DJ5GZ, der auf diesem Gebiet über einige Erfahrungen verfügt. Sie erhalten damit einen Gesprächsstoff, den Sie nach einem OV-Abend nicht als erledigt betrachten dürfen. Von Zeit zu Zeit werden Sie auf das gleiche Thema zurückgreifen müssen, denn unser Nachwuchs wächst heran und sieht sich plötzlich den gleichen Problemen gegenüber. Das Thema heißt:

Notrufe nach Medikamenten. Vor einer „Gebrauchsanweisung“ einige allgemeine Bemerkungen und Hinweise. Notrufe nach Medikamenten stellten vor einigen Jahren noch eine Seltenheit dar. Hörte man einen solchen Ruf, dann war man sicher, daß tatsächlich ein Menschenleben in akuter Lebensgefahr war. Wegen der Seltenheit solcher Notrufe waren auch alle an dieser Aktion beteiligten Amateurfunkstellen voll und ganz bei der Sache und arbeiteten ohne jeden Eigennutz zum Wohl der erkrankten Person Hand in Hand.

Leider entwickelte sich dann aus den Medikamentennotrufen gewissermaßen ein „Sport“. Von Norden, Süden, Osten oder Westen überschwemmten „Notrufe“ den Äther. „Ich brauche dringend für eine schwerkranke Frau das Medikament ....“, so konnte man es oft hören und stellte dann mit Erstaunen fest, daß jede Apotheke ohne Rezept das „Medikament“ abgab. Rücksprachen mit Ärzten oder Apothekern ergaben, daß sich hinter einem sehr gelehrt klingenden lateinisch Namen vielleicht nur ein Schlankheits- oder Schönheitsmittel verbarg. Dieser Unfug verhinderte oft die Erledigung echter Notrufe nach Medikamenten. Aus diesem Grunde wurden Absprachen zwischen Kliniken, Ärzten und Medikamentenherstellern getroffen, die den Zweck hatten, dort zu helfen, wo es tatsächlich notwendig ist. Hinzu kam auch noch, daß heute in den meisten Ländern große Auslieferungslager für Medikamente eingerichtet wurden, die es vor einigen Jahren noch nicht gab. Es lassen sich daher Regeln für die Beschaffung von Medikamenten, die durch Notrufe angefordert werden, aufstellen, auch wenn man sich nicht ganz starr an sie halten kann und soll:

I.

  1. Notrufe nach Medikamenten gehören nicht zu den für Amateurfunkstellen zugelassenen Sendungen. Der Amateur darf daher nicht irgendwelchen privaten Bitten um Absetzen eines Notrufes nachkommen. Sicher wird die nächste Polizeifunkstelle wegen ihrer größeren Leistung auch größere Aussicht auf einen schnellen Erfolg haben.
  2. Sollte jedoch einmal eine amtliche Funkstelle nicht erreichbar sein, so soll ein Notruf nach Medikamenten nur auf Weisung eines Arztes (Klinik) abgesetzt werden.
  3. Bei dem Absetzen eines solchen Notrufes dürfen die internationalen Notzeichen „SOS“ im Telegraphieverkehr oder „MAYDAY“ im Telefonieverkehr unter keinen Umständen verwendet werden. Die Verwendung dieser Notzeichen ist strafbar!
  4. Der Notruf nach einem Medikament muß kurz und klar sein. Er muß enthalten:
    a) den Namen und Hersteller des Medikamentes,
    b) die erforderliche Menge,
    c) das Geschlecht und das Alter des Patienten,
    d) die genaue Anschrift der Klinik oder des behandelnden Arztes.

Nun dürfte in DL normalerweise wohl kaum die Notwendigkeit für das Absetzen eines Notrufes nach Medikamenten gegeben sein, denn neben einem ausgezeichneten öffentlichen Nachrichtennetz verfügt schon fast jede größere Ortschaft über einen Arzt, der helfend einspringen kann, und der auch weiß, wo er dieses oder jenes Serum oder Medikament schnell erhält. Das Schwergewicht der Erledigung eines Notrufes nach Medikamenten liegt daher für den deutschen Funkamateur nicht auf der Sende-, sondern auf der Empfangsseite, Hierbei muß er dann schnell und umsichtig handeln. Man kann für die Aufnahme von Notrufen nach Medikamenten etwa folgende Regeln aufstellen:

II.

  1. Nicht unnötig in ein bestehendes QSO einsteigen, welches sich mit der Beschaffung eines Medikaments befaßt.
  2. Genau mithören und beobachten, ob die bestehende Verbindung ohne QSP einen einwandfreien Wechselverkehr gewährleistet.
  3. Namen und Menge des Medikaments gegebenenfalls gleich mit aufschreiben und durch fernmündliche Rückfrage bei dem eigenen Hausarzt oder einem anderen Arzt feststellen, ob das verlangte Medikament tatsächlich für Fälle mit akuter Lebensgefahr gedacht ist. In größeren Städten lohnt sich auch ein Anruf bei der Apothekerkammer, die über ein „Internationales Arzneibuch“ verfügt und daher schnell und sicher jede Auskunft erteilen kann.
  4. Bestätigt der Arzt, daß es sich um ein Medikament handelt, welches nur bei ernsten Fällen Verwendung findet, evtl. sofort fragen, wo es erhältlich ist.
  5. Wenn die Abwicklung des laufenden QSOs zeigt, daß der Verkehrspartner keine Hilfe leisten kann, sofort in einer Schaltpause selbst in das QSO mit einsteigen.
  6. Falls erforderlich, die rufende Station darauf aufmerksam machen, daß der Name des behandelnden Arztes oder der Klinik mit genauer Anschrift benötigt wird, da von den Herstellern oder den Medikamentenlagern das Medikament nicht in Privatpersonen ausgeliefert wird. Weitere benötigte Angaben siehe 1.4.
  7. Häufig werden amerikanische Medikamente verlangt. Es Ist in diesen Fällen nicht notwendig, amerikanische Amateurstationen zur Hilfeleistung einschalten zu wollen. In Wiesbaden unterhält die amerikanische Wehrmacht ein sehr großes Zentrallager. Man hat dort offene Ohren für begründete Notrufe.

Schließlich muß auch noch darüber gesprochen werden, auf welchem Wege das Medikament dem Arzt oder der Klinik zugestellt werden kann. Da es sich in der Mehrzahl der Fälle um entfernte Länder handeln wird, in die das Medikament geschickt werden muß, kommt praktisch nur der Luftweg in Frage. Die Städte der Bundesrepublik, die über einen Flughafen oder Fliegerhorst verfügen, besitzen in der Mehrzahl auch Auslieferungslager der Medikamente herstellenden Industrie. Es kommt für den Medikamententransport somit noch der Weg zwischen dem Auslieferungslager und dem Flughafen/Fliegerhorst hinzu. Folgende Regel sollte man sich für den Transport der Medikamente merken:

III.

  1. Nach Rücksprache und fester Abmachung mit dem Auslieferungslager sofort die Polizei oder das Rote Kreuz verständigen und um den Transport des Medikamentes zum Flughafen/Fliegerhorst bitten. Beide Dienststellen werden gerne helfen und ein Blaulicht-Fahrzeug einsetzen.
  2. Selbstverständlich muß zuvor geklärt sein, ob zu dieser Zeit ein Verkehrsflugzeug mindestens bis in die Nähe des Bedarfsortes fliegt. Ist das der Fall, dann wird die Polizei oder das Rote Kreuz unter Mitwirken des Zolles das Medikament unmittelbar dem Flugkapitän aushändigen, der dann von sich aus am Zielort alles Notwendige veranlaßt.
  3. Befindet sich kein Verkehrsflughafen in der Gegend, oder würde das nächste Streckenflugzeug erst nach längerer Zeit starten, dann wird, wie genügend Beweise vorliegen, die deutsche Luftwaffe oder auch die Luftwaffe anderer Nationalitäten sich gerne dazu bereitfinden, den Transport zu übernehmen. da ja Langstreckenflüge in das Ausbildungsprogramm aller Staaten gehören. Die Dienststellen der Wehrmacht wissen auch, welche Formalitäten zu erfüllen sind, um in Länder zu gelangen, die beispielsweise zum Ostblock gehören. Es erübrigt sich, einen bestimmten Weg vorzuschlagen.
  4. Es zeugt von völlig falschem Ehrgeiz, wenn man den Transport des Medikamentes ohne Hilfestellung der Behörde oder ohne die Hilfe anderer OM bewerkstelligen will. Das gelingt In 99 % aller Fälle nicht und verschlingt kostbare Zeit.

Sind die Beschaffung des Medikamentes und der notwendige Transport zum Verbraucher einwandfrei geklärt, dann ist es zweckmäßig, die anfordernde Station kurz zu verständigen. Eine Zwischennachricht wird sich häufig als zweckmäßig erweisen, damit das Mittel für den gleichen Zweck nicht unnötig bei mehreren Stellen oder in mehreren Ländern angefordert wird.

Für den Funkverkehr bei allen Notrufen nach Medikamenten hat es sich als zweckmäßig erwiesen, sich nicht unmittelbar auf die QRG der rufenden Station zu setzen, da hier das QRM schnell so stark wird, daß es jeden Verkehr unmöglich macht.

Zum Abschluß über „Notrufe nach Medikamenten“ möchte ich Ihnen noch kurz berichten, daß ich selbst einmal von anderen OM zur Hilfeleistung bei einem Notfall gebeten wurde. Ich mußte schnell ein Sonderflugzeug nach Venedig chartern. Der Wettergott meinte es aber mit uns nicht gut und so mußten wir wegen Schlechtwetter auf dem Fliegerhorst in Bozen zwischenlanden. Da es nicht aufklarte, baten wir unter Einschalten italienischer Funkamateure die italienische Polizei um Hilfe, die auch sofort eine Autostafette von Bozen nach Venedig einrichtete. Der Zeitverlauf der gesamten Aktion war etwa: zwischen 20:00 und 21:00 Uhr Notruf, nachts Beschaffung des Medikamentes, morgens Beschaffung des Flugzeuges, Start gegen 13:00 Uhr, Landung in Bozen gegen 14:00 Uhr, Verhandlung mit der Italienischen Polizei und anschließend Polizeistafette mit dem Medikament nach Venedig. Gegen 20:00 Uhr lag bereits die Bestätigung über Funk vor, daß das Medikament in Venedig eingetroffen und dem Arzt übergehen war. Nach etwa einer Woche traf ein Schreiben des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes mit einem Bild des Kindes, seiner Eltern und des behandelnden Arztes ein, in dem mitgeteilt wurde, daß das Kind durch die sofortige Verabreichung des Medikamentes gerettet werden konnte. Für uns alle, die wir Hand in Hand an der Durchführung der Medikamentenbeschaffung gearbeitet hatten, war dies der schönste Lohn.

Mit den besten 73
Ihr DL3JE


Abschrift und Archiv-Bearbeitung: DC7XJ


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