VORSTANDSINFORMATION NR. 21 VOM 28.08.1999

Thema: Schreiben an die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes


Liebe YLs, XYLs und OM,

auf Initiative des DARC in der EUROCOM (IARU 1) ist das nachstehende Schreiben an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments verschickt worden:

An die
Abgeordneten des Europäischen Parlamentes


Sehr geehrte Damen und Herren,

neue Technologien der Nachrichtenübertragung sollen noch mehr und noch schneller Daten übertragen können. Mit dem Slogan „Internet aus der Steckdose“ bringt es die Werbung auf den Punkt.

Gemeint ist die schnelle Datenübertragung zum privaten und geschäftlichen Endkunden über bereits vorhandene Leitungen der Energieversorgungsunternehmen und der Kabelnetze der Telekommunikationsunternehmen.

ADSL, xDSL oder PLC (Power Line Communication) sind die Kurzbezeichnungen für diese neuen Telekommunikationssysteme. Die Anbieter senden ihre Daten durch die bislang nur für das Telefon und die Stromversorgung benutzten Leitungen. Aufgrund der angestrebten hohen Datengeschwindigkeit müssen hohe Funkfrequenzen bis zu 30 MHz benutzt werden. Damit werden diese Leitungen zu Antennen, die auf diesen Frequenzen wie ein Funksender elektromagnetische Felder abstrahlen.

Da diese unerwünschte Abstrahlung auch im unmittelbaren Wohnbereich der Bürger erfolgt, wird der Empfang regulärer Funkdienste, denen diese Frequenzen in internationalen Frequenzbereichszuweisungsplänen zugewiesen sind, gestört oder gar unmöglich gemacht. Selbst der Rundfunkempfang auf Lang-, Mittel- und Kurzwelle und Funkdienste mit kleinerer Sendeleistung, wie der Amateurfunk, haben dagegen praktisch keine Chance mehr. Noch kritischer ist zu sehen, daß auch die von militärischen Organisationen (z. B. der NATO) und von Sicherheitsdiensten verwendeten Frequenzbereiche davon betroffen sind.

Funkamateure auf der ganzen Welt stehen für Innovation und sinnvolle Nutzung der Technik. Sie kümmern sich um den technischen Nachwuchs, inspirieren junge Leute für einen technischen Beruf und tragen selbst zu technischen Entwicklungen bei. Daher begrüßen Funkamateure neue Entwicklungen jeder Art, sofern sie technisch und wirtschaftlich sinnvoll und rechtlich und sozial verträglich sind. Funkamateure sind politisch und wirtschaftlich ungebunden. Sie äußern sich frei von irgendwelchen gruppenorientierten Interessen.

Durch ihre technischen Kenntnisse und neutrale Ungebundenheit sind Funkamateure in der Lage, wie ein Frühwarnsystem auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Im vorliegenden Fall der oben beschriebenen Telekommunikationssysteme handelt es sich aus Sicht der Funkamateure um Systeme, die wegen ihrer begrenzten und nicht weiter steigerbaren Datenrate bereits jetzt als veraltet angesehen werden müssen und zudem mit erheblichen Nachteilen für die klassischen Funkdienste verbunden sind.

Als zukunftsorientierte Datenübertragungstechniken in die Haushalte kommen heute die bereits in der Praxis viel angewendeten modernen Glasfasertechniken in Frage, für kurze Zubringerwege auch Funkstrecken im sog. GHz-Bereich. Nur diese können wachsende Datenraten bewältigen und sind daher auf lange Sicht ausbaufähig und volkswirtschaftlich verantwortbar.

Die nachteiligen technischen, sozialen, rechtlichen und volkswirtschaftlichen Folgen der aDSL, xDSL und PLC- Systeme sind gravierend. Funkfrequenzen werden allgemein als ein kostbares, nicht beliebig zu vermehrendes Gut betrachtet. Wesentliche Teile des auch für interkontinentale Nachrichtenübertragungen geeigneten Bereiches des Funkspektrums werden möglicherweise flächendeckend unbrauchbar gemacht. Diese Nachteile wiegen die kurzfristigen Vorteile der Beschleunigung bei der Datenübermittlung nicht auf. Da die Funkwellen dieser schnellen Datensysteme von den Leitungen abgestrahlt werden, sind diese auch von fremder Seite leichter abhör- und dekodierbar.

Die EUROCOM als Zusammenschluß der europäischen Amateurfunkverbände innerhalb der Internationalen Amateur Radio Union (IARU) möchte Sie auf drei wesentliche Gefahren hinweisen, die bislang in der öffentlichen Diskussion noch gänzlich unerwähnt geblieben sind. Damit wollen wir verhindern, daß europaweit evtl. sehr hohe Geldbeträge in Fehlinvestitionen gelenkt werden.

Es handelt sich um

Um die vorgenannten ernstzunehmenden Gefahren abzuwenden, sind europaweit politische Maßnahmen notwendig, um statt dieser bereits jetzt als veraltet anzusehenden Techniken die Einführung der Glasfasertechniken zu unterstützen.

Weitere technische, wirtschaftliche, rechtliche und soziale Folgen dieser Techniken sind zu analysieren, damit die mit der vorgesehenen Einführung dieser veralteten Techniken, vor allem in Ballungsgebieten, vorauszusehenden Probleme gelindert werden können.

Wir fügen zu Ihrer persönlichen Unterrichtung in der Anlage weitere Ausführungen bei, in denen wir auf die oben beschriebenen Punkte etwas ausführlicher eingehen. Wir bitten Sie, sich bei Ihren Ländervertretungen und in den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlamentes für die Belange der betroffenen Funkdienste einzusetzen.

Gerne würden wir einen Termin bei Ihnen wahrnehmen, um das Ausmaß des Themas sowie unsere Belange noch detaillierter zu erläutern.

Mit freundlichen Grüßen!

Anlage


Anlage

Statements der europäischen Funkamateure der EUROCOM zu den im Anschreiben ausgeführten Gefahren und Risiken der Einführung neuer Telekommunikationssysteme

1. Störproblematik

Anbieter bzw. Betreiber der beschriebenen neuen Kommunikationstechniken nutzen eine bereits vorhandene Kabelinfrastruktur. Die Leitungen/ Kabel sind nahezu ausnahmslos durch eine unzureichende Qualität der Abschirmung geprägt. Die sich dadurch ergebende Ausstrahlung ungewollter elektromagnetischer Energie, vor allem im Umfeld des Endverbrauchers, macht die Anlagen und Netze physikalisch betrachtet zu Sendern. Bei Lichtleitungen sind die Auswirkungen besonders dramatisch.

Betroffene von den Abstrahlungen dieser Telekommunikationsanlagen und -netze sind alle Funkdienste und Funkanwendungen, die dieselbe Frequenz nutzen. Die Störungen sind dabei keineswegs nur eine theoretisch vorstellbare Konsequenz der parallelen Nutzung einer Frequenz, sondern bereits durch Messungen in Pilotprojekten belegt.

Zu erwarten sind auch Störungen und Verträglichkeitsprobleme mit anderen Kabelnetzen, Haushaltsgeräten und sogar der Unterhaltungselektronik. Rechtsgrundlagen zur Handhabung dieser neuen Form von Störungen in ihrer ganzen Dimension sind in den nationalen Gesetzen zur Behandlung von elektromagnetischen Unverträglichkeiten nicht vorhanden und auch in Kürze nicht zu erwarten. Auch zivilrechtliche Schadensersatzklagen und Produkthaftungsprozesse sind damit weitere absehbare Folgen.

Unserer Ansicht nach werden die zu erwartenden Störungen eine Qualität erreichen, die sich über weite Bereiche des Frequenzspektrums erstreckt. Ausgehend von den Erfahrungen mit den Störungsproblemen beim Kabelfernsehen auf der Basis von Kupferkabeln in mehreren europäischen Ländern, auch in Deutschland, sind wir der Ansicht, daß eine parallele Nutzung terrestrischer Frequenzen in Kupferkabeln immer zu Kompatibilitätsproblemen führen wird und auch auf Dauer nicht den Anforderungen an immer größere zu übertragende Datenraten gerecht werden wird. Alternativen, die allen Ansprüchen gerecht werden und zudem noch eine wesentlich höhere Übertragsbandbreite für das noch wachsende Kommunikations- und Informationsbedürfnis in Europa ermöglichen, stehen technisch in Form einer Lichtleitervernetzung (Glasfasertechnik), kombiniert mit einer Funkanbindung im GHz-Bereich an den Endverbraucher, zur Verfügung.

2. Informationsfreiheit und Rundfunkfreiheit

Durch die Zulassung von Telekommunikationsanlagen und Telekommunikationsnetzen der beschriebenen Art wird in nicht gerechtfertigter Weise in die aktive und passive Informationsfreiheit nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingegriffen.

Bei den Menschenrechten der EMRK handelt es sich nicht nur um ratifizierte Vertragsbestimmungen, sondern auch um innerhalb der Europäischen Union zu beachtende Gemeinschaftsgrundrechte. Das Grundrecht der Informationsfreiheit gewährleistet das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Es ist Voraussetzung jeder freiheitlichen Demokratie.

Betroffen durch die gleichzeitige Frequenznutzung der neuen Datenübertragungsformen ADSL, xDSL und PLC sind insbesondere der Rundfunkdienst auf der Sende- und Empfangsseite (Hörerseite) und der Amateurfunkdienst, der ebenfalls unter den Schutz der Informationsfreiheit im Sinne von Artikel 10 EMRK fällt, sowie weitere Funkanwendungen. Die Rundfunkbänder werden durch die hohen Störpegel, die ADSL, xDSL, PLC auf Lang-, Mittel- und Kurzwelle aufweisen, massiv betroffen. Dadurch wird die freie und autonome Informationsbeschaffung des Einzelnen aus internationalen und europäischen Quellen deutlich beschränkt werden. Besonders das Recht auf freie Informationsbeschaffung, der in den jeweils europäischen Ländern lebenden ausländischen Mitbürger, wird damit ernsthaft in Gefahr sein.

Der Eingriff ist deshalb ungerechtfertigt, weil die Funkdienste – der Rundfunkdienst und der Amateurfunkdienst – in ihrer Existenz bedroht sind und es ebenso andere, sogar besser geeignete Mittel zur Erreichung des Zieles, nämlich der schnelleren, besseren Datenübertragung, gibt. Die Glasfasertechnik ist, wie bereits ausgeführt, technisch und ökonomisch sogar langfristig sinnvoller.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat bereits mehrfach betont, welch großen Stellenwert die freizügige Informationsbeschaffung innerhalb der Europäischen Union hat.

Der EGMR geht ebenfalls davon aus, daß ein Staat sich nicht damit zufriedengeben darf, lediglich die Freiheit des Rundfunks vor staatlichem Einfluß zu sichern. Vielmehr bedürfe es einer positiven Ordnung, die sicherstelle, daß der Zugang zum Rundfunk für alle bestehenden Meinungen in möglichst breiter Vollständigkeit gesichert ist, und daß auf diese Weise umfassende Information geboten wird.

Aus dieser Sicht des Europäischen Gerichtshofes ist es unverantwortlich, durch die Datenübertragung auf Leitungen einen Eingriff in die Informations- und Rundfunkfreiheit zuzulassen, wodurch die Rundfunkdienste letztlich in ihrer Existenz bedroht sind.

Existenzbedrohende Gefahren ergeben sich erst recht für den Amateurfunk, der in der Vollzugsordnung für den Funkdienst auf internationaler Basis geregelt und geschützt ist, da für diesen experimentellen Funkdienst keine Mindestpegel definiert sind.

3. Datenschutz

Darüber hinaus muß davon ausgegangen werden, daß es durch die vorhandene Störstrahlung möglich sein wird, persönliche Daten, die über die neuen ADSL, xDSL und PLC-Techniken transportiert werden, aufzuzeichnen und auszuwerten. Hier geben wir auch datenschutzrechtliche Probleme zu bedenken. Auch diesbezüglich sind ausreichende Rechtsgrundlagen zum Schutze der Unionsbürger noch nicht vorhanden.

4. Resümee

Aufgrund vorgenannter ernst zunehmender Gefahren sind politische Maßnahmen notwendig, um statt der bereits jetzt als veraltet anzusehenden Techniken die Einführung der Glasfasertechniken zu unterstützen.

Weitere technische, wirtschaftliche, rechtliche und soziale Folgen sind zu untersuchen, um die Probleme zu lindern, die mit der möglicherweise stellenweise nicht mehr vermeidbaren Einführung der veralteten Techniken verbundenen sind.

Hierzu gehört, nur solche Frequenzen zuzulassen, wo der Rundfunk, militärische Funkdienste, Not- und Sicherheitsdienste, der Flugfunk und der Amateurfunk nicht gefährdet sind. Die für die Übertragungstechniken zugelassenen Störfeldstärken sind zum Schutz der Funkdienste und Funkanwendungen deutlich abzusenken. Zusätzlich sind Schutzbestimmungen über die maximale Abstrahlung der Telekommunikationsanlagen und -netze zugunsten der Funkdienste und Funkanwendungen vorzusehen.

Da die „Ressource Frequenz“ nicht an Ländergrenzen „Halt macht“ und es sich bei der Einführung der neuen Techniken um eine europaweite Thematik handelt, regen wir im Sinne aller Beteiligten eine Regelung auf europäischer Ebene an. Die Bedenken bzgl. des Störrisikos bei Datenübertragungen über Stromleitungen werden ebenfalls bereits in höchsten Gremien der CEPT, der NATO und der Europäischen Rundfunkunion behandelt.


Die deutschsprachige Textversion wurde erstellt von
Karl-Erhard Vögele, DK9HU, Hans-Joachim Brandt, DJ1ZB, und Christina Volmer, Juristische Verbandsbetreuung des DARC

Der Text wird noch in’s Englische, Französische und Spanische übersetzt.

VY 73 de Jochen Hindrichs, DL9KCX


Archiv-Bearbeitung: DC7XJ


Inhalt 1999 Rundspruch-Archiv